Gedanken zu Social Media rund um die Anschläge von Paris

Es ist 3 Uhr morgens und ich kann nicht schlafen. Aufgewühlt lese ich meine Timelines und die neuesten News zu den Anschlägen und Paris. Meine Lieblingsstadt. Fassungslos starre ich auf die steigenden Opferzahlen und sehe Paris verzweifelt, in Angst und in Trauer.

Schattenseiten

…und schon sind sie da. Die Hetzer. Die Newsverbreiter. Die Umdeuter. Mit Social Media war es noch nie so einfach, News zu verbreiten. Doch ungeprüft und unbestätigt gelangen News rund um die Welt, die

  • nicht der Wahrheit entsprechen oder
  • Tage, Wochen oder sogar Monate alt sind.

Dabei ist es manchen Menschen sogar egal, was sie da verbreiten, so lange es in ihr Bild der Attentäter passt. Zumeist ist sofort von muslimischen Attentätern die Rede und eine ganze Religion und ihre Anhänger werden in eine Ecke gestellt. Bisher gibt es über die Täter aber keine Aussagen! Nachrichten werden schwupp-di-wupp umgedeutet, um weiter gegen Flüchtlinge zu hetzen. Doch gerade die sind ja vor solchen Attentätern aus ihrer Heimat geflohen und haben Haus, Hof und Heimat in völliger Unwissenheit um ihre Zukunft hinter sich gelassen (Anm.: rechte Propaganda werde ich nicht noch teilen).

Politisch passt es auch einigen ins Bild, wenn frühere Entgleisungen einfach als neu verkauft werden – wie im Fall von Donald Trump. Das der Tweet aus Januar stammt und sich auf Charlie Hebdo bezieht, macht ihn nicht weniger geschmacklos. Dennoch wurde er passenderweise heute wieder hervor gekramt, um den umstrittenen Unternehmer zu diskreditieren (obwohl er das meiner Meinung nach auch ganz von alleine schafft).

Recherche von Falschmeldungen

Der Account @grasswirefacts auf Twitter war mir heute eine gute Quelle, um diese Falschmeldungen zu identifizieren. Mittlerweile bin ich sehr zurückhaltend geworden, was das Teilen von angeblichen Fakten angeht und Grasswire versucht auch immer Originalmaterial zu finden und aufzuklären. Nur an einem Punkt heute war und ist mir immer noch unklar, ob und was wirklich passiert ist – das Feuer im Refugeecamp in Calais (genannt „Jungle“; Brand im Bereich „Sudan“). Es gingen sehr viele alte Bilder und Videos durch Social Media, da es wirklich am 2.11. und wohl auch vor ca. 3 Monaten im Lager brannte. Lange gab es auch nur eine angebliche Quelle – ein polnischer Journalist, der sich aber nach einiger Recherche als ausgezeichneter Journalist und zu 99 % glaubwürdig herausstellte. Mittlerweile haben wohl auch vereinzelte freiwillige Helfer vor Ort bestätigt, dass es erneut brennt. In welchem Zusammenhang (und ob überhaupt) dies mit Paris steht, ist bisher von keiner offiziellen Seite bestätigt. Dennoch bot auch das wieder Angriffsfläche für rechte Polemik.

Ja, es ist oft schwierig einzuschätzen, was ist wahr und was nicht. Doch oft existierte das Material schon vorher irgendwo in Social Media und wie @grasswirefacts kann man mit etwas Ruhe und einer Recherche herausfinden, ob Dinge wahr oder unwahr sind. Aber Recherche braucht Zeit. Doch mit Social Media ist unser Anspruchsdenken so extrem geworden. Wir müssen quasi in Echtzeit kommunizieren und wenn das Medien wie die ARD „nicht schaffen“, dann gibt es gleich herbe und oft überzogene Kritik daran. Warum die ARD nicht das Spiel sofort abbrach und nicht direkt 2 min. nach den Anschläge live aus Paris darüber berichtete, beschreibt der freiberufliche Nachrichtenredakteur Udo Stiehl sehr gut in seinem Blogpost. [Tweet „Recherche braucht Zeit.“]

Widerlegte Gerüchte

Daher heißt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Dinge in Frage zu stellen. Nicht alles auf Social Media zu glauben. So viel wurde heute durch kurze Recherche schnell widerlegt:

Eiffelturm

 

Bild aus dem Konzerthaus Bataclan

Demonstrationen in Paris

 

Empire State Building

Wo Schatten ist, ist auch Licht

Doch es gibt auch die positiven Dinge in Social Media, denn Social Media kann auch soviel Gutes bewirken. Die Anteilname ist groß. Hashtags wie #PrayforParis (Beten für Paris), #NousSommesUnis (Wir sind vereint) oder #JeSuisParis (Ich bin Paris; in Anlehnung an Je Suis Charlie [Hebdo]) sorgen für Tausende Tweets, Instagrams und Facebook-Statusupdates. Facebook hat auch unmittelbar den Safety-Check für Paris und die Region freigeschaltet. Wenn man also Freunde in und um Paris hat, die auch auf Facebook sind, dann können diese mitteilen, dass sie in Sicherheit sind. Ein gutes Tool, wenn denn die Personen Facebook auch regelmäßig nutzen. Des weiteren werden hilfreiche Telefonnummern geteilt.

Die Bewohner von Paris etablierten auch in kürzester Zeit den Hashtag #PorteOuverte (offene Tür), damit Menschen schnell Hilfe und sichere Unterkunft in Paris finden konnten.

Leidiges Thema Urheberrecht

Auch etabliert hat sich eine an das Peace-Symbol und den Eiffelturm angelehnte Zeichnung. Leider wird hier oft behauptet, das Logo stamme von Banksy. Immer wieder fallen Menschen auf den angeblichen Banksy auf Twitter rein (obwohl in der Bio „fan account“ steht) und verbreiten dann „sein“ Bild. Dabei ist dieser Twitter-Account ein reinstes Fest an Urheberrechtsverstößen. Munter klaut der Account symbolträchtige und witzige Bilder aus dem Netz zusammen und gibt es bewusst oder unbewusst als seine Kunst aus. So auch bei diesem Bild.

Peace for Paris

Ein von @jean_jullien gepostetes Foto am

Aber hier endet die Medienkompetenz mancher Social-Media-Nutzer. Den Twitter-Account nicht als Fake zu erkennen, kann ich ja durchaus nachvollziehen. Aber das urheberrechtsgeschützte Bilder nicht einfach munter als Profil-, Titel- oder Kommentarbilder (oder Instagram) benutzt werden dürfen, sollte sich zumindest bei den Social-Media-affineren Menschen durchaus rumgesprochen haben. Meist steht noch nicht mal die Referenz an den Künstler dran. Was ich bisher gesehen habe: ein gefundenes Fressen für Abmahnanwälte (mal ganz abgesehen von den Verstößen, dass man den Eiffelturm bei Nacht mit angeschalteter Lichtinstallation nicht veröffentlichen darf, da die Lichtinstallation urheberrechtlich geschützt ist). Da siegt anscheinend das Mitgefühl über den gesunden Menschenverstand.

Fazit

Es ist ein weiter Weg, bis auch der letzte verstanden hat: don’t trust the Internet! Keep calm and do your research!*

„Don’t trust the Internet! Keep calm and do your research!“

Meine Gedanken sind in Paris. Die Stadt der Liebe. Sie wird jetzt viel davon brauchen.


 

P.S.: Des weiteren darf auch nicht vergessen werden, dass es ein starkes Erdbeben mit Tsunamiwarnung in Japan gab sowie Anschläge in Bagdad und Beirut, die auch vielen Menschen das Leben kosteten. Auch da geht eine Welle der Anteilnahme durch Social Media, auch wenn Paris in der westlichen Welt im Fokus steht.

*Mir ist bewusst, dass Anschläge ein emotionales Thema sind. Doch mit der Verbreitung von Unwahrheiten und Gerüchten tragen wir nicht nur Aufklärung bei und befeuern eventuell nur noch rechte Propaganda. Auch das Thema Urheberrecht klingt banal und weit weg von all den Tragödien, die gerade um uns herum passieren – doch im Zusammenhang mit Social Media ist mir das doch wichtig. Es ist ein Hinweis. Ein Denkanstoß. Denn Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Edit 16.11.:

Auch Annette Schwindt hat dazu einige kluge Zeilen verfasst.
Gilly beschreibt ganz gut auch den daraus resultierenden Social-Media-Terror.

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